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BGH: Hinweis- und Warnpflicht bei Insolvenzgrund
Der BGH hat mit einem neulich veröffentlichten Urteil (Az.: IX ZR 56/22) den Rahmen einer möglichen Haftung des anwaltlichen Beraters eines krisenbehafteten Unternehmens neu abgesteckt und dadurch das Risiko einer Inanspruchnahme erhöht.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die spätere Insolvenzschuldnerin hatte einen Rechtsanwalt über mehrere Jahre hinweg wiederholt mit anwaltlicher Beratung beauftragt. Die Prüfung einer möglichen Insolvenzreife der Schuldnerin war allerdings nicht Gegenstand der Hauptleistungspflicht des mandatierten Rechtsanwalts.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wurden der Geschäftsführer und der „faktische Geschäftsführer“ vom Insolvenzverwalter aus Geschäftsführerhaftung in Anspruch genommen. Sie einigten sich im Wege eines Vergleichsschlusses mit dem klagenden Insolvenzverwalter.
Den gezahlten Vergleichsbetrag forderten sie nebst Rechtsanwaltsgebühren sodann von der Haftpflichtversicherung ihres langjährigen Rechtsberaters. Sie argumentierten, den Rechtsanwalt habe als Nebenleistungspflicht aus dem Beratungsvertrag eine Hinweis- und Warnpflicht in Bezug auf die mögliche Insolvenzreife getroffen.
Der Senat befasste sich ausführlich mit der Frage, ob der Mandatsvertrag Drittschutz gegenüber den Geschäftsleitern entfaltete und kam zu dem Schluss, dass das Berufungsgericht die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung hinsichtlich des Rechtsinstituts des „Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“ nicht ausreichend berücksichtigt habe. Es sei offenkundig, dass der Drittschutz grundsätzlich auch dann in Betracht komme, wenn der Rechtsanwalt nur eine Neben- und keine Hauptleistungspflicht verletzt.
Der BGH führt aus, dass die Hinweis- und Warnpflicht bei einem möglichen Insolvenzgrund nur unter engen Voraussetzungen greife. Denn dem jeweiligen Berater müsse der mögliche Insolvenzgrund bekannt werden, für ihn offenkundig sein, oder sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängen. Eine bloße Erkennbarkeit reiche nicht aus. Ferner müsse der Berater Grund zu der Annahme haben, dass sich der Geschäftsleiter nicht über den möglichen Insolvenzgrund und daraus folgende Handlungspflichten bewusst ist.
Abschließend stellt der Senat klar, dass ein Drittschutz nach den erwähnten Voraussetzungen auch für einen lediglich „faktischen Geschäftsführer“ nicht zwangsläufig ausscheidet, da auch dieser zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet sei und für eine verspätete Antragstellung hafte.
Die Entscheidung zeigt auf, dass auch insolvenzrechtlich weniger erfahrene „Stammberater“ Hinweis- und Warnpflichten bei möglicher Insolvenzreife treffen können. Zur Vermeidung einer Haftungsgefahr gegenüber Dritten und Mandanten ist daher dringend zu empfehlen, insolvenzrechtlich versierte Kolleginnen oder Kollegen bereits bei ersten Krisenanzeichen in die Bearbeitung eines Mandats einzubinden.